
Am Morgen des 30. Jänner 2025 setzten unser EU-Dachverband RREUSE, sowie unsere Schwesterorganisationen Ressources (Belgien), Emmaüs Europe und TESS GEIE (Zusammenschluss mehrerer sozialwirtschaftlicher Textilverwerter) ein starkes Zeichen vor dem Europäischen Parlament. Mit einer eindrucksvollen Installation aus gebrauchten Textilien machten sie auf die akute Krise aufmerksam, die den Bereich der Wiederverwendung und des Recyclings von Textilien bedroht. Ohne sofortiges Eingreifen der EU steht die Branche vor dem Kollaps.
Der Textilsektor steht unter Druck. Die Menge an Textilien, die in Textilsammlungsanlagen landen, nimmt stetig zu, die Qualität nimmt ab, Exportmöglichkeiten werden weniger und innerhalb der EU fehlen Kapazitäten für Sortierung und Aufbereitung. Die Lagerkapazitäten sind begrenzt, der Secondhand-Markt steigt zwar stark an, aber zu langsam. Hinzu kommt, dass viele gesammelte Kleidungsstücke eine zu schlechte Qualität für Secondhand-Shops aufweisen. Auch das Recycling ist in der EU noch weit entfernt von den Kapazitäten, die benötigt würden. Gleichzeitig reißt der Strom an Fast Fashion-Textilmüll, der täglich auf den Markt gespült wird, nicht ab. Dies bringt die Textilsammlung an ihre Belastungsgrenze.
Neva Nahtigal (RREUSE) warnt: „Die Flut an billiger, minderwertiger Fast Fashion überfordert die Wiederverwertungssysteme. Wir sind äußerst besorgt über die Zukunft sozialer Unternehmen in der EU. Ohne rasches Handeln droht der gesamte Sektor zu kollabieren, und damit gehen zehntausende lokale, umweltfreundliche und inklusive Arbeitsplätze verloren.“
Die sinkende Qualität der Kleidungsstücke führt zu niedrigeren Wiederverwendungsraten und einer steigenden Menge an Textilien, die mangels Alternativen letztendlich verbrannt werden müssen. Steigende Energiepreise und Inflation verschärfen die Lage. Gleichzeitig steht der Secondhand-Sektor in unfairem Wettbewerb mit Ultra-Fast-Fashion-Produzenten, die durch Schlupflöcher wie zollfreie Lieferungen unter 150 Euro den Markt mit billigen, nicht nachhaltigen Textilien überfluten.
Die Krise zeigt sich in drei zentralen Punkten:
- Ökologisch: Wiederverwendbare und recycelbare Textilien werden verbrannt, mit katastrophalen Umweltfolgen.
- Wirtschaftlich: Schließung von Sortierzentren, Arbeitsplatzverluste und verlorene Investitionen.
- Sozial: Tausende Arbeitsplätze in sozialen Unternehmen, die am Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen unterstützen, sind in Gefahr
Ein Weckruf in Bildern
Um die Dringlichkeit des Problems zu unterstreichen, errichteten die Demonstrierenden auf dem Place du Luxembourg einen riesigen Berg aus weggeworfenen Textilien und eine symbolische Textilsortieranlage. Vertreter des RREUSE-Netzwerks, NGOs sowie Mitglieder des Europaparlaments aus verschiedenen Fraktionen (Grüne, EVP, Renew) nahmen an der Aktion teil. Diese bot eine Plattform für den Austausch über die aktuellen Herausforderungen und die Diskussion konkreter Lösungen zur Unterstützung der sozialen und zirkulären Wirtschaft. Anschließend folgten hochrangige Gespräche mit wichtigen Vertretern der Europäischen Kommission aus den Abteilungen GROW, ENV, EMPL und REGIO sowie dem Kabinett von Exekutiv-Vizepräsidentin Mînzatu.


Forderung nach sofortigen Maßnahmen
„Europa muss dringend handeln, um die Verantwortung der Textilproduzenten sicherzustellen,“ fordert Franck Kerckhof, Sprecher der Ressources Federation. RREUSE und seine Partner verlangen einen sofortigen Aktionsplan mit Überbrückungsfinanzierungen für die Branche, bis Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) voll einsatzfähig sind.
Die EU-Politik muss bestehende Finanzierungsinstrumente wie den Wiederaufbau- und Resilienzfonds, die Just-Transition-Fazilität (verwaltet von CINEA) oder Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) nutzen, um schnelle Hilfen bereitzustellen. Sobald die EPR für Textilien umgesetzt ist, sollten diese Mittel durch Herstellerverantwortungsorganisationen auf nationaler Ebene zurückgezahlt werden. In Ländern mit bestehenden EPR-Systemen, wie Frankreich, müssen sofortige Notfallfonds freigegeben werden.
Auch in Österreich ist die Lage angespannt
Auch in Österreich ist die Krise der Textilsammlung bereits angekommen: Zwar ist die österreichische Sozialwirtschaft im Bereich der Textilsammlung sehr gut aufgestellt, weil ein nicht unbeträchtlicher Teil der Sammelware, insbesondere die sehr guten Qualitäten, problemlos in den über 175 Re-Use-Shops der Mitglieder von Re-Use Austria und auf WIDADO verkauft werden kann und so mehr als die Hälfte der Erlöse stabil sichert. Aber die weniger guten Qualitäten und die nur noch für Recycling geeigneten Anteile, die bisher gut exportiert werden konnten, bleiben nun unverkäuflich. Vereinzelt mussten bereits Altkleider teuer der Verbrennung zugeführt werden, weil die Lager voll sind und keine Aussicht auf kurzfristige Besserung der Exportchancen besteht. Eine EU-Überbrückungsfinanzierung könnte auch in Österreich helfen, die Textilsammlung so weit zu stabilisieren, dass sie den Inlandsbedarf gut deckt und bis zur Einführung der Finanzierung durch die Hersteller und Aufbau europäischer Recyclingkapazitäten in voraussichtlich ca. 3 – 4 Jahren aufrechterhalten werden kann.