Das weltweit erste Experiment mit einer universellen Arbeitsplatzgarantie hat die Langzeitarbeitslosigkeit beseitigt. Gleichzeitig sind die Teilnehmer:innen glücklicher, finanziell abgesichert und engagieren sich stärker für ihre Gemeinschaft, wie neue Ergebnisse zeigen. Wo? – Marienthal in Niederösterreich.
Marienthal könnte sich bereits zum zweiten mal zum geflügelten Wort in der Arbeitsmarktpolitik entwickeln. In den 1930er Jahren wurde in der Stadt in Niederösterreich eine bahnbrechende Sozialforschungsstudie durchgeführt, in der untersucht wurde, wie sich die Massenarbeitslosigkeit nicht nur auf das Einkommen, sondern auch auf die Gesundheit, das Wohlbefinden, die sozialen Bindungen und das Gemeinschaftsleben auswirkt.
Das Experiment „Marienthal reversed“, das 2022 seine erste Phase abgeschlossen hat, wurde von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Oxford konzipiert und wird derzeit ausgewertet. Es wird vom niederösterreichischen Arbeitsmarktservice durchgeführt. Das Programm, das 2020 in der österreichischen Gemeinde Marienthal gestartet wurde, ist einzigartig, da es jedem/jeder Einwohner:in, der/die länger als zwölf Monate arbeitslos ist, eine universelle und bedingungslose Garantie für einen gut bezahlten Arbeitsplatz bietet. Aus RepaNet-Sicht eine wahre Revolution.
Die wichtigste Ergebnisse sprechen für sich:
- Das Einkommen der Teilnehmer:in stieg und sie gewannen mehr finanzielle Sicherheit.
- Die Teilnehmer:innen waren glücklicher und zufriedener und hatten das Gefühl, ihr Leben besser im Griff zu haben.
- Sie pflegten engere Beziehungen zu anderen, fühlten sich stärker wertgeschätzt und hatten das Gefühl, dass sie mehr Menschen um sich herum hatten, auf die sie sich verlassen konnten.
- Durch das Pilotprojekt konnte die Langzeitarbeitslosigkeit beseitigt werden – ein wichtiges Ergebnis, wenn man bedenkt, dass das Programm ausschließlich auf freiwilliger Basis durchgeführt wurde. Es führte auch zu einem starken Rückgang der Gesamtarbeitslosigkeit in der Stadt.
- Diese Verbesserungen des sozialen und finanziellen Wohlbefindens und der Rückgang der Arbeitslosigkeit hielten in den ersten beiden Jahren des Programms an.
Sven Hergovich, Geschäftsführer des AMS Niederösterreich und Initiator des Programms, im O-Ton: „Ich hatte große Hoffnungen, als wir das Programm starteten, aber diese positiven Ergebnisse übertreffen sogar meine Erwartungen.“
Und so funktioniert’s: Die Teilnehmer:innen des Programms werden bei der Arbeitssuche unterstützt und erhalten eine garantierte bezahlte Arbeit im privaten oder öffentlichen Sektor. Sie verdienen zumindest den Kollektivvertrag, sodass ihr Einkommen über ihren bisherigen Sozialleistungen liegt. Die Teilnahme ist freiwillig, Sanktionen sind nicht vorgesehen.
„Die positiven Auswirken gingen weit über das Wirtschaftliche hinaus“
Maximilian Kasy, Professor an der Universität Oxford und Autor der Studie, zu den Ergebnissen: „Es ist beeindruckend zu sehen, was für einen Unterschied das Programm gemacht hat. Ja, die Menschen hatten mehr Geld, aber die positiven Auswirkungen gingen weit über das Wirtschaftliche hinaus: Sie waren glücklicher, stärker in ihrer Gemeinschaft verwurzelt und hatten das Gefühl, ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu können.“
Die Teilnehmer des Programms erhalten zu Beginn eine zweimonatige Vorbereitung, einschließlich Einzelunterricht, Beratung und – bei Bedarf – Unterstützung durch erfahrene Sozialarbeiter_innen, Ärzt_innen und Psycholog_innen. Anschließend werden sie bei der Suche nach einem geeigneten und subventionierten Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft unterstützt oder bei der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes, der auf ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen über die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft beruht. Ein Jahr österreichische Arbeitslosigkeit kostet rund 30.000 € pro Person, während das Projekt 29.841 € pro Teilnehmer:in und Jahr kostet.
Schaden der Langzeitarbeitslosigkeit mit innovativer Sozialpolitik beseitigen
Lukas Lehner, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Oxford und Autor der Studie, merkte an: „Langzeitarbeitslosigkeit hinterlässt Narben im Leben und schadet den Gemeinden, doch die Arbeitsplatzgarantie in Marienthal zeigt, dass es möglich ist, diesen Schaden mit einer erschwinglichen, innovativen Sozialpolitik praktisch zu beseitigen. Die Menschen wollen eine sinnvolle Arbeit zu einem fairen Lohn, und wenn wir ihnen dabei helfen, kommt dies uns allen zugute.
Einer der Teilnehmer, Johann, 65 Jahre alt, sagte: „Vor der Schließung habe ich 38 Jahre lang in einem örtlichen Chemieunternehmen gearbeitet. Bisher [im Rahmen der Arbeitsplatzgarantie] habe ich in der Renovierungsbranche gearbeitet und konnte meine Fähigkeiten auf vielfältige Weise einsetzen. Mit Hilfe der Beschäftigungsgarantie werde ich im Oktober 2022 als Lagerarbeiter in einem Recyclingunternehmen anfangen.“ Ein anderer Teilnehmer, Mohamad, 44 Jahre alt, fügte hinzu: „[Die] Jobgarantie bietet die Möglichkeit, jeden Tag zu arbeiten und etwas Neues zu lernen. Ich bin dankbar für die Hilfe, die die Jobgarantie bietet; sie ist wichtig für mich.“
Werner V., 60 Jahre, berichtet: „Nach mehr als 600 Bewerbungen erwies sich mein Wunsch nach einer Beschäftigung als hoffnungslos. Zu alt, zu teuer, aufgrund meines Alters ohne langfristige Perspektive, scheinbar überqualifiziert für Dienstleistungsjobs… es schienen viele Hindernisse zu bestehen. Die Jobgarantie erwies sich für mich als äußerst wertvoll und nützlich. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Heimatmuseum archiviere und dokumentiere ich den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wert des historischen Ortes Marienthal.
Für RepaNet sprechen die Zwischenergebnisse klare Worte: Es liegt viel Potential in dem Modell der Jobgarantie, um gesellschaftlichen Wohlstand, der über rein finanzielles Einkommen hinausgeht, zu erzeugen und nachhaltig zu stärken. Insbesondere sehen wir großes Potential im Bereich der kreislaufwirtschaftlichen Transformation, also dem Ausbau von Re-Use, Reparatur, Refurbishment, Gebrauchtwarenbewirtschaftung und E-Commerce in den sozialwirtschaftlichen Re-Use-Betrieben unseres Netzwerkes. Dazu müsste das Modell weiter entwickelt und auch im urbanen Bereich umsetzbar und attraktiv gemacht werden. Wir werden das Projekt weiter verfolgen und an dieser Stelle wieder darüber berichten.