Es besteht dringender Handlungsbedarf: Der Sektor für gebrauchte Textilien und Abfalltextilien in der EU durchlebt derzeit die größte Krise seiner Geschichte. Unzureichende Kapazitäten in Sachen Textilsammlung und-sortierung stellen Unternehmen in der gesamten EU vor existentielle Herausforderungen. In einem offenen Brief legt RREUSE nun konkrete Forderungen und Maßnahmen dar, die im Rahmen eines Textilen Notfallplans dringend umgesetzt werden müssen.
Die Forderungen, die unser EU-Dachverband RREUSE nun in einem offenen Brief darlegt, sind mehr als dringlich: Mit dem bevorstehenden Inkrafttreten der EU-weiten Verpflichtung zur getrennten Sammlung von Textilien ab dem 1. Januar 2025 steht die Textilbranche vor einer existenziellen Krise. Die Infrastruktur für Sammlung, Sortierung, Wiederverwendung und Recycling ist in vielen EU-Mitgliedstaaten unzureichend, während eine finanzielle Unterstützung aus den geplanten Systemen der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) erst in einigen Jahren verfügbar sein wird. Das bringt den gesamten Sektor in eine prekäre Lage.
Eine Branche in der Krise
Die Herausforderungen sind enorm: Der Markt für gebrauchte Textilien befindet sich am Rande des finanziellen Zusammenbruchs. Bereits jetzt kämpfen Sortierbetriebe mit der Konkurrenz von Fast-Fashion- und Ultra-Fast-Fashion Konzernen. Überproduktion und niedrige Preise stellen eine große Konkurrenz und Belastung für den Markt von Gebrauchttextilien dar. Große Akteure wie SOEX, das größte Sortierunternehmen Europas, musste bereits Insolvenz anmelden.
Die Folgen dieser Krise sind weitreichend: Wiederverwendbare Textilien werden zunehmend in Müllverbrennungsanlagen entsorgt, da Lagerkapazitäten fehlen und ausländische Absatzmärkte wegbrechen. Der internationale Markt für Secondhand-Kleidung ist gesättigt, und Recyclingmöglichkeiten sind stark begrenzt, lediglich der inländische Absatz in Re-Use-Shops und Online steigt noch immer, kann die gestiegenen Mengen niedriger Qualität aber nicht absorbieren und auch die gestiegenen Kosten nicht mehr decken. Ohne sofortige Maßnahmen droht der Kollaps einer Branche, die nicht nur wertvolle Ressourcen sichert, sondern auch sozial-ökonomisch wichtige Arbeitsplätze für benachteiligte Menschen schafft. Matthias Neitsch, Präsident von RREUSE und Geschäftsführer von Re-Use Austria dazu: „Wenn die EU eine textile Kreislaufwirtschaft erreichen will, muss sie diejenigen vor dem Aus retten, die das aufbauen können: die Sammler und Verwerter von gebrauchen Textilien, ganz besonders jene, die mit Re-Use und sozialem Zusatznutzen direkt in der Region den höchsten Nachhaltigkeitseffekt erzielen.“ Von der künftigen Bundesregierung wünscht sich Neitsch entsprechende Unterstützung auf nationaler und europäischer Ebene.
Notwendigkeit einer EU-Notfallfinanzierung
Um diesen drohenden Zusammenbruch zu verhindern, fordern Vertreter:innen der Textilverwertungsbranche dringend die Einführung eines Übergangsfinanzierungsmechanismus. Die Finanzierung könnte durch bestehende EU-Instrumente wie den Wiederaufbaufonds, den Mechanismus für einen gerechten Übergang oder durch Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) bereitgestellt werden. Diese Gelder könnten später durch nationale EPR-Systeme zurückgezahlt werden.
Ein solcher Mechanismus ist unerlässlich, um bestehende Akteure und Infrastrukturen zu erhalten und die Lücke zwischen der Einführung der getrennten Sammlung und der Verfügbarkeit von EPR-Geldern zu schließen. Die Priorität sollte auf der lokalen und regionalen Wiederverwendung liegen, insbesondere durch Sozialunternehmen, die sozial benachteiligte Personen integrieren und gleichzeitig umweltfreundliche Lösungen fördern.
Ein Schritt zur Kreislaufwirtschaft
Diese Notfallfinanzierung ist nicht nur eine kurzfristige Lösung, sondern ein entscheidender Schritt, um die EU auf ihrem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Gleichzeitig muss die EU jedoch auch die Wurzeln des Problems angehen: die Überproduktion durch Fast- und Ultra-Fast-Fashion. Strenge Ökodesign-Vorgaben und Maßnahmen zur Reduzierung von Textilabfällen sind notwendig, um den Sektor langfristig zu stabilisieren.
Die Zukunft der Textilbranche und ihre Rolle in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft hängen jetzt von der Bereitschaft der EU ab, entschlossen zu handeln.
Zu dem Open Letter geht’s hier >>