Die im März 2022 auf EU-Ebene veröffentlichte Textilstrategie legt umfangreiche Ziele für wesentliche Veränderungen im Textilbereich bis 2030 fest. Darunter fällt auch ein Konzept für eine ehrgeizige Abfallpolitik zur Verringerung der Menge an bisher im Restmüll entsorgten Textilabfällen. Um diese Ziele tatsächlich erreichen zu können, fehlen laut einer Einschätzung der European Environment Agency (EEA) jedoch die notwendigen Kapazitäten zur Sammlung und Sortierung von Alttextilien.
6,95 Millionen Tonnen – etwa 16 kg pro Person – das ist die Menge an Textilabfällen, die im Jahr 2020 in den 27 EU-Mitgliedsstaaten angefallen ist. Derzeit werden nur etwa ein Viertel dieser Abfälle wiederverwendet oder stofflich recycelt. Der Rest landet laut EEA im gemischten Hausmüll.
Verbrennungsanlagen und Exporten ins Ausland soll Einhalt geboten werden
In der EU-Abfallrahmenrichtlinie wird festgelegt, dass Alttextilien ab 2025 separat gesammelt werden sollen, um sicherzustellen, dass Textilabfälle im ersten Schritt der Vorbereitung zur Wiederverwendung zugeführt werden. Abgesehen davon, dass diese Regelung sehr vage ist und weder die Art der zu sammelnden Textilien definiert noch Mengenziele vorgibt, reichen jedoch laut EEA die derzeitigen Sammlungs-, Sortier- und Recyclingkapazitäten für diese Maßnahme bei weitem nicht aus. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Nur durch den Ausbau dieser Kapazitäten kann das Ziel erreicht werden, Textilien nicht länger in großen Mengen in Verbrennungsanlagen, auf Mülldeponien oder durch Exporte ins Ausland zu entsorgen.
Mangel an Kapazitäten zeigt sich in Österreich
Ein Paradebeispiel dafür, wie ausbaufähig der Bereich der getrennten Textilsammlung ist, bietet Österreich. Von den 9 Bundesländern verfügt nur eines über eine professionelle Anlage für die Vollsortierung von Altkleidern, und zwar Vorarlberg mit Carla-Tex der Caritas. Diese kann jedoch nur Altkleiderspenden aus Vorarlberg bearbeiten und auch dort nicht die gesamte Sammelmenge. Die restlichen gesammelten Altkleider aus Österreich werden nur grob vorsortiert, primär für den Verkauf in eigenen sozialwirtschaftlichen Re-Use-Shops oder gleich zur Sortierung ins Ausland gebracht, etwa nach Deutschland, Italien oder Osteuropa.
Investitionsstau
Die Gründe für die fehlenden Investitionen in einen Ausbau der Textilverwertung sind komplex, nicht nur in Österreich: Textilrecycling ist mit den aktuellen Technologien (Dämmstoffherstellung und Putzlappenproduktion) nicht wirtschaftlich, kommt daher nur für Produktionsreste und untragbare Reste aus der Altkleidersammlung zur Anwendung, und wird durch die Erlöse aus dem Altkleiderverkauf quersubventioniert. Innovativere Recyclingtechnologien sind zwar inzwischen erforscht und entwickelt, aber noch nicht im Industriemaßstab verfügbar, weil auch diese mehr kosten, als sie an Sekundärrohstofferlösen bringen. Daher hat aktuell niemand Interesse, hier in großem Maßstab zu investieren, solange die Hersteller bzw. Inverkehrsetzer der Textilen nicht gesetzlich verpflichtet werden, diese Kosten zu tragen.
EPR-System: „Bitte warten“
Die Lösung ist geplant und in Sicht: „Erweiterte Herstellerverantwortung“ (engl.: „Extended Producer Responsibility – EPR“), also die Verpflichtung der Hersteller, die Kosten ihrer Textilprodukte auch nach deren Nutzungsphase zu übernehmen und bereits in den Verkaufspreis einzukalkulieren. Diese gesetzliche Verpflichtung ist mit einer Novelle der EU-Abfallrahmenrichtlinie vorgesehen, die an sich bereits in der finalen Verhandlungsrunde zwischen Kommission, Parlament und Rat sein sollte. Diese Verhandlungen verzögern sich aber aktuell durch die Unstimmigkeiten im Zuge der ungarischen Ratspräsidentschaft, was zur Folge hat, dass sich das immer wieder verzögerte und zuletzt für Anfang 2025 avisierte Inkrafttreten der fertigen Novelle womöglich um ein weiteres Jahr verschieben wird. Damit wird sich auch eine österreichische Regelung für ein Textil-EPR-System wohl nicht vor Ende 2027 ausgehen. Bis dahin müssen größere Investitionen im Bereich der Textilsammlung und -sortierung wohl noch warten.
Pioniere gehen zaghaft in Vorlage
Doch nicht alle Akteure wollen so lange untätig bleiben: vereinzelt wird bereits über neue Sammelschienen und auch Anlageninvestitionen in Österreich nachgedacht. Da aber noch niemand weiß, wie das künftige EPR-System gestaltet sein wird, wer welche Mengen sammeln darf oder muss und welche Kosten künftig von wem an wen refundiert werden, ist das Risiko von „stranded Investments“ naturgemäß hoch, was die Ambition momentan deutlich dämpft. Abgesehen von vereinzelt geplanten Pilotaktivitäten ist daher kurzfristig mit keinem großen Durchbruch zu rechnen.
Kommunen zuständig
Denn nach wie vor sind in den überwiegenden Teilen von Österreich die kommunalen Gebietskörperschaften für Sammlung und Verwertung von Textilien zuständig, und diese werden die Sammelaktivitäten nur dann ausweiten, wenn die aktuell fehlenden – weil unwirtschaftlichen – Verwertungskapazitäten geschaffen werden können – ein Teufelskreis, der erst mit einem EPR-System durchbrochen werden wird.
Re-Use-Sammlung hat weiterhin Priorität, kämpft aber mit Exportproblem
Die einzige noch immer funktionierende und auch sinnvolle Textilsammlung ist die bestehende Re-Use-Sammlung tragbarer Kleidung und Schuhe, vor allem dann, wenn sie von sozialwirtschaftlichen und karitativen Einrichtungen mit starkem Inlandsabsatz und sozialem Zusatznutzen für benachteiligte Menschen durchgeführt wird. Denn der inländische Secondhand-Verkauf boomt nach wie vor. Hingegen befindet sich der Export der im Inland nicht oder weniger gefragten Qualitäten sowie von unsortierter Sammelware in einer Krise, was vor allem privatwirtschaftliche Sammler in Bedrängnis bringt und die Ambitionen für Investitionen in Ausweitung der Sammlung und Schaffung von neuen Sortierkapazitäten in Österreich dämpft. Fazit: 2025 wird noch nicht das Jahr der geplanten „Wende“ in der Alttextilbewirtschaftung werden.