Der Europäische Rechnungshof (ERH) stellt in einem Sonderbericht Mitte September fest, dass der Beitrag des Corona-Wiederaufbaufonds (ARF) zur Klimapolitik und zum ökologischen Wandel von der Kommission und den Mitgliedstaaten möglicherweise überschätzt wird.
Matthias Neitsch, Geschäftsführer von Re-Use Austria, zeigt auf, warum sich die zirkuläre Förderlogik grundlegend ändern muss, um eine wirklich nachhaltige Wirtschaft zu schaffen.
Das Resümee zu dem Sonderbericht Nr. 14 des Europäischen Rechnungshofs, der seit dem 11. September 2024 vorliegt, ist ernüchternd: Der Beitrag des Corona-Wiederaufbaufonds (ARF) zur Klimapolitik und zum ökologischen Wandel ist nach einer ersten Einschätzung unklar und wird von der Kommission und den Mitgliedstaaten wohl überschätzt. Ein zentrales Ziel des ARF ist die Förderung von Klimamaßnahmen in den EU-Ländern, weshalb mindestens 37 % der Mittel für Klimaziele vorgesehen sind. Diese Mindestgrenze wird in vielen Projekten allerdings nicht erreicht. Hinzu kommt, dass der Einsatz der Mittel und der damit verbundene Beitrag zum Klimaschutz für die Prüfer:innen oft nicht nachvollziehbar war.
Berechnung des Klimabeitrags mit Klima-Koeffizienten
Der Fonds, der mit 700 Milliarden Euro ausgestattet ist, soll Europa nach der Pandemie unterstützen und vor allem den Klimaschutz vorantreiben. Die Auszahlung erfolgt dabei jedoch nicht zur Deckung von Ausgaben, sondern anhand von Meilensteinen und Zielen und auf Grundlage vorangegangener Kostenschätzungen. Doch genau diese Methodik wirft laut dem ERH Fragen auf: Viele Projekte, die als „grün“ klassifiziert wurden, haben nur indirekt Einfluss auf den Klimaschutz.
Die Berechnung des Anteils, der für das Klima ausgegeben wird, wird mittels eines sogenannten Klima-Koeffizienten ermittelt: ein Koeffizient von 100 % für Maßnahmen mit erheblichem Beitrag, von 40 % für nicht unerheblichen, positiven Beitrag und von 0 % für neutrale oder unerhebliche Beteiligungen.
Das Problem dabei: Viele Maßnahmen waren nicht eindeutig abzugrenzen, was die Prüfer:innen zum Schluss kommen ließ, dass der Klimabeitrag zum Teil zu hoch angesetzt war. Bei einigen als grün anerkannten Projekten gab es gar keinen direkten Bezug zum ökologischen Wandel.
Die Empfehlung des Europäischen Rechnungshofes an die Kommission lautet daher, im Rahmen künftiger Finanzierungsinstrumente bessere Schätzungen der klimabezogenen Ausgaben vorzunehmen und eine geeignete Gestaltung künftiger Finanzierungsinstrumente, mit denen Klima- und Umweltziele und die entsprechenden Zielvorgaben unterstützt werden sollen, sicherzustellen.
Weiters soll die Berichterstattung über klimabezogene Ausgaben im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität verbessert werden.
Investitionsanreize befeuern materielles Wachstum
Diese Schritte gehen allerdings laut Matthias Neitsch, Geschäftsführer von Re-Use Austria, nicht weit genug. Er vermutet das Problem der Förderlogik tiefsitzender. Es sei eine umfangreiche, zirkuläre Transformation der Förderlogik notwendig. Bislang setzt die Wirtschaftsförderung primär auf Investitionsanreize, die ein materielles Wachstum befeuern. Für effektiven Klimaschutz und die Einhaltung planetarer Grenzen braucht es laut der österreichischen KLW-Strategie 2022 jedoch eine drastische Reduktion des Materialverbrauchs – um 80% pro Einwohner und Jahr. Die Vorstellung, dass Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch dauerhaft voneinander entkoppelt werden können, bleibt dabei eine Illusion. Wachstum entsteht vor allem durch Investitionen in neue Produktionsmittel, was unweigerlich den Materialverbrauch steigert, selbst bei „grünen“ Investitionen. Recycling und längere Produktlebensdauer können den Materialfluss verlangsamen, verhindern aber nicht den kontinuierlichen Ressourcenbedarf, da Verschleiß und biogener Abbau natürliche Grenzen setzen.
Umfangreiche, zirkuläre Transformation der Förderlogik
Um diese Wachstumslogik zu durchbrechen, muss auch das staatliche Fördersystem überdacht werden. Bislang setzt die Wirtschaftsförderung primär auf Investitionsanreize, die jedoch ein materielles Wachstum befeuern. Der Fokus muss auf Projekte verlagert werden, die kein weiteres Wachstum im Materialverbrauch erzeugen, was einen Paradigmenwechsel in der Förderlogik bedeutet. Fördermittel sollten künftig vor allem zirkuläre Geschäftsmodelle unterstützen, die im Wettbewerb mit linearen Modellen – etwa Fast Fashion oder kurzlebigen Elektro-Gadgets – einen Marktnachteil haben, aber aus klimapolitischen Gründen gefördert werden müssen. Der Ausbau des Reparaturbonus für Elektrogeräte auf weitere Produktbereiche wäre ein erster Schritt in diese Richtung.
Da eine Reform des Fördersystems auf nationaler Ebene politisch leichter umsetzbar ist als eine langfristig allerdinges unumgängliche Steuerreform in Richtung mehr Besteuerung von Ressourcenverbrauch und weniger Besteuerung von Arbeit, bietet dieser Ansatz ein geeignetes Modell, um die öffentliche Akzeptanz für zirkuläre Wirtschaftsstrukturen zu erhöhen. So kann die schrittweise Ablösung linearer durch zirkuläre Förderungen einen bedeutenden Beitrag zur Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise leisten.
Konkret schlägt Neitsch daher Änderungen folgenden Bereichen vor:
1. Investitionsförderung: Investitionsförderungen in Produktionsanlagen materieller Güter müssen langfristig auf null reduziert werden. Ausnahme: Investitionen in Produktionsanlagen besonders langlebiger Güter, die gleichzeitig den Gesamtbestand an Gütern verringern.
2. Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation: Forschung soll nicht nur umweltfreundliche Produkte hervorbringen, sondern auch kreislauffähige Geschäftsmodelle entwickeln, die mit weniger Produkten dieselben Lebensstandards bieten. Hierbei sollen Geschäftsmodelle, die den Materialverbrauch pro Nutzungseinheit (z.B. pro Jahr) senken, Vorrang haben.
- Förderbedingung für 1 und 2: zirkuläres Geschäftsmodell
Ohne nachhaltiges zirkuläres Geschäftsmodell, das die Anzahl der benötigten Produkte stark verringert, sollte eine Investitionsförderung oder F&E-Förderung nicht zulässig sein. Investitionen, die auf ein Geschäftsmodell mit unbegrenztem Wachstum abzielen, dürfen nicht mehr förderbar sein, ebenso wenig Investitionen in Anlagen mit einer Lebenszeit lediglich der aktuell üblichen Abschreibungsdauer. Geförderte Investitionen in Anlagen müssen eine signifikant höhere Abschreibungsdauer aufweisen als derzeit üblich, d.h. nicht nur die Langlebigkeit von Produkten ist Förderziel, sondern auch deren gesamthafte Reduktion sowie die Langlebigkeit der dazugehörigen Produktionsanlagen.
3. Marktförderung: Die Förderungen unter 1 und 2 müssen unbedingt verknüpft werden mit der Förderung der Marktkonsolidierung solcher geförderter Produkte / Anlagen, und zwar mittels Absatzförderung, Preisstützung, Nachfrageförderung oder Angebotsförderung. Dies ist nötig, um den unfairen Wettbewerbsvorteil nicht-nachhaltiger Produkte und Geschäftsmodelle auszugleichen, solange dieser noch besteht und nicht durch entsprechende Besteuerung (sh oben) bereits kompensiert werden konnte.
Ein Umdenken ist notwendig
Eine Förderung wie unter Punkt 3 ist derzeit außer in Landwirtschaft und Verkehr nicht üblich. Um die nötigen Budgetmittel zu freizuspielen ist daher der Abbau der nicht an Bedingungen der Zirkularität und Klimaneutralität gebundenen Förderungen rasch voranzutreiben. Die Transformation von linearen zu zirkulären betrieblichen Geschäftsmodellen ist anders nicht zu bewerkstelligen. Die lediglich wie bisher auf Investitionen und F&E fokussierte Förderlogik wird keinen Systemwandel bringen, weil die Rebound-Effekte aufgrund der derzeitigen Marktkräfte sehr rasch die Effizienzgewinne kompensieren werden und das materielle Wachstum – mit kurzeitiger leichter Verzögerung – dann erst recht wieder anheizen würden.
Arbeitsmarktsituation ist ausschlaggebend
Ein Wort zum „Fachkräftemangel“: Solange nicht-nachhaltige und nicht-zirkuläre Wertschöpfungsketten wettbewerbsfähig sind, werden diese bestehen bleiben und Arbeitskräfte binden. Eine zusätzliche staatliche Förderung von nachhaltigen zirkulären Wertschöpfungsketten „on top“ benötigt zusätzliche Arbeitskräfte und verschärft daher den Arbeitskräftemangel.
Die Wettbewerbsfähigkeit nicht-nachhaltiger Wertschöpfungsketten muss daher durch Besteuerung in dem Maß verringert werden, in dem die nachhaltigen Modelle gefördert werden. Mit Fortschreiten der Transformation werden somit Arbeitskräfte aus der reduzierten nicht nachhaltigen Produktion frei für zirkuläre Geschäftsmodelle. Nachhaltige Wertschöpfungsketten erfordern allerdings eine höhere Arbeitsintensität, andere Qualifikationsschwerpunkte und eine geringere Anlagenintensität. Um das gleiche Wohlstandsniveau beizubehalten, braucht es daher verstärkte Digitalisierungsmaßnahmen der nachhaltigen Servicebereiche, um die Ressourcennutzung je Produktlebensdauer zu senken.
Fazit
Förderung von Investitionen und F&E ist langfristig wirkungslos ohne gleichzeitige Marktstützungsförderung nachhaltiger zirkulärer Geschäftsmodelle im laufenden Betrieb, in dem Maß und solange die Wettbewerbsungleichheit zwischen nachhaltigen und nicht-nachhaltigen Geschäftsmodellen zu Ungunsten letzterer besteht.
Ziel des Wirtschaftens und der Wirtschaftspolitik darf nicht das exponentielle Wachstum des BIP sein, sondern die exponentielle Annäherung an materielle Zirkularität und immateriellen Wohlstand. Die dazu nötigen Finanzmarktinstrumente müssen seitens der Notenbanken implementiert werden, die fiskalischen Rahmenbedingungen und Förderinstrumente müssen vom Staat bereitgestellt werden.